• Prosa

    Verlieren und dann Düsseldorf

    Grüne Hügel, leere Straßen, bauschige Wolken, die Trumanshow geben.

    Hier habe ich meinen Verstand verloren, auf eine gemütliche Art.

    Tagelang nicht das verrauchte Zimmer verlassen, abends auf dem langen Balkon stehen

    Die Sinne sind an den falschen Ecken geschärft, gerade so, dass es Spaß macht.

    Diese eine Stelle im Wald, die wir nie wieder gefunden haben

    Und die andere Stelle, an der es im Frühling heiß und im Sommer unerträglich war.

    Einmal haben wir uns im Winter dort hochgekämpft, aber die Magie war weg.

    Agoraphobie in einer Wohnung, die wir „Trümmerbude“ nannten, Riss in der Decke, schiefer Boden, schräge Nachbarn.

    Ein Ende voller Tränen, Aufgeben, großer Angst und permanentem Loch im Magen.

    Ankunft in einer Düsseldorfer Wohnung, die größer war als alle davor.

    Mit funktionierender Küche, einem Bad, das man abschließen kann und zwei Balkonen, ich fing wieder mit dem Rauchen an.

    Grüne Hügel am Horizont und ein Friedhof, wie immer.

    Laut, hell, bunt, es stinkt.

    Wir würden die Laterne am liebsten austreten.

    Nach wenigen Wochen verlasse ich die Stadt, sie sollen mich fixen, mir die Angst nehmen, mich glücklich machen.

    Rituale, an denen ich nicht teilhabe versalzen den Boden und wir wundern uns, warum die Liebe schrumpft.

    Alles war besser, als wir noch in einem Bett schliefen.

    Finde meinen Anfang nicht, die Gedanken kreisen um das Ende.

    Rückblickend bin ich gerade erst losgelaufen.

  • Prosa

    Woher er gekommen ist

    Woher er gekommen ist, weiß im Dorf niemand. Ihm selbst fällt es schwer, sich an einen Herkunftsort, einen Startpunkt, geschweige denn eine Vergangenheit zu erinnern. Es kann sein, dass sein Name „Oliver“ ist, denn er fiel ihm sofort ein, als die erste Person, auf die er nach seiner Ankunft getroffen ist, ihn danach fragte. Nun nehmen alle im Dorf an, sein Name wäre Oliver, und er kann sie nicht berichtigen, selbst wenn er wollte, also nennt er sich selbst auch so. Heute wird Oliver, wie er also der Einfachheit halber in dieser Geschichte heißen wird, zum Schuster gehen und sich ein paar Lederschuhe anfertigen lassen. Dann wird er die Bäckerei besuchen, um frisches Brot und einen Kirschplunder zu kaufen, und diesen dann auf einer Bank im Park essen. Aber fangen wir von vorne an: Oliver steht auf, wäscht sein Gesicht und geht in die Küche der Familie, die ihn großzügig bei sich wohnen lässt, bis er sich etwas Eigenes aufgebaut hat und allein wohnen kann. Im Gegenzug fegt Oliver den kleinen Hof, führt die beiden Hunde aus und passt an den meisten Nachmittagen auf die 3-jährige Ingeborg auf. Der Vater der Familie, Willi, steht gerade mit einer Kanne Kaffee in der Hand vorm Tisch, als Oliver den Raum betritt. „Moin Oli, auch’n Kaffee?“, fragt Willi mit einem Schwung, dass unserem Protagonisten ganz schwindelig wird. Er nickt und fragt sich, was wohl passiert ist, dass Willi heute so aufgedreht ist. Um die Beine des Tisches schlängelt die Katze ihren Schwanz und miaut. Normalerweise reagiert Willi genervt darauf, aber heute duckt er sich zur Katze und miaut, mit Liebe in der Stimme, zurück. Viola, die fast erwachsene Tochter der Familie, sitzt am Tisch und liest ein Reclamheft, Oliver interessiert der Titel, aber er traut sich nicht nah genug an Viola ran, um ihn lesen zu können, sie kann ganz schön fies sein. Letztes Wochenende wollte er nur wissen, wo es die besten Äpfel des Dorfes gebe, und sie hat ihn ausgelacht mit einem Gesichtsausdruck, der ihm immer noch ohne Vorwarnung vorm geistigen Auge spukt, wenn er mal eine Gedankenpause einlegt. Er setzt sich an den Tisch und Viola rückt ein wenig weg, dabei sitzen sie zwei Armlängen voneinander entfernt. Willi redet über seinen heutigen Auftrag, er wird in die Stadt fahren und dort ein paar wichtige Menschen treffen, vermutlich ist das der Grund für seine freudige Stimmung. Oliver ist noch nicht so lange vor Ort, dass das Dorf ihm langweilig erscheint, doch er kann schon erahnen, wie sich der Trott einschleichen muss, sobald man hier sesshaft geworden oder gar aufgewachsen ist. Viola verdreht die Augen, aber Oliver hat nicht gut genug zugehört, um zu verstehen, wieso. Soweit er Einblicke in diese Familie erhalten hat, soll Viola eines Tages den Betrieb ihres Vaters übernehmen und tut gerade alles dafür, dies nicht zu müssen. Sie zieht es in die Großstadt, ihr missfällt das Dorf am meisten von allen, die Oliver bisher kennengelernt hat. Sie möchte studieren, die Welt sehen, sich in einen Gitarre spielenden Veganer verlieben, zumindest nimmt Oliver das an, sie sieht so aus, als wäre das ihr grober Plan. Er würde sie gern fragen, ob sie ihn zum Schuster begleitet, aber die Angst vor ihrer Reaktion macht ihm die Knochen weich. „Was starrst du schon wieder so?“, fragt sie ihn jetzt, das war’s, er schaut schnell auf den Teller vor sich und leert die Tasse Kaffee. „Ich muss dann“, sagt er in den Raum zwischen Vater und Tochter, und verlässt die Küche. Beim Rausgehen hört er, wie Viola mit der Zunge schnalzt, schlägt seinen Kragen hoch und geht durch die Tür. Die Luft ist wärmer als sonst zu dieser Uhrzeit, es wird wohl Frühling, denkt Oliver und gibt seinem Gehirn die Chance, Verknüpfungen an vorherige Frühlinge aufzurufen, leider ohne Erfolg. Den Weg zum Schuster kennt er, wie alle Wege durchs Dorf, von seinen Gassirunden mit Fix und Alle, den beiden Hunden der Familie. Wenn Fix stirbt, werden sie Alle umbenennen müssen, daran denkt er immer, wenn ihm die Hunde in den Sinn kommen. Vor der Tür des Schusters druckst er sich herum, er weiß nicht, ob er sowas schon mal gemacht hat, Schuhe anfertigen lassen. Willi hat ihn dazu überredet, dass ein guter Geschäftsmann ein gutes Paar Schuhe braucht, die Idee klang plausibel, aber jetzt, wo er hier steht, kommt es ihm albern vor. Da öffnet sich die Tür von innen und ein älterer Herr begrüßt ihn mit „Hereinspaziert, was darf’s sein?“. „Ich brauche Schuhe, Lederschuhe, ich wollte die anfertigen lassen“, bringt Oliver hervor und betritt den Laden. Der Geruch von Schuhen und verschiedenstem Leder bringt etwas in einem hinteren Gang seines Hirns zum Klingeln, aber er kann dem jetzt nicht nachgehen, er muss handeln. Er setzt sich auf eine weiche Bank und lässt sich die Füße ausmessen. Der Schuster scheint mit sich selbst zu reden, oder Oliver hat noch zu wenig Ahnung von den Gepflogenheiten einer Konversation, jedenfalls sagt er nichts und lässt den Alten vor sich hin flüstern. Irgendwann scheint er fertig zu sein und sagt Oliver, er könne seine Schuhe nächste Woche abholen. Das ging schnell und war weniger aufregend als gedacht, denkt Oliver und wünscht dem Alten einen schönen Tag. Schräg gegenüber dem Schusterladen entdeckt er eine Bäckerei, die ihm noch nie aufgefallen ist und betritt sie. Der Duft nach Brot macht leider nichts mit ihm, dafür erinnert er ihn daran, dass er sich gleich Zeit nehmen muss, um über den Schuhgeruch nachzudenken. Er entscheidet sich für ein Brot und einen Kirschplunder, weil er denkt, dass er Kirschen mag und wünscht der Bäckereifachverkäuferin einen schönen Tag. Seine Füße tragen ihn in den Park, in dem er die Hunde immer ableint, damit sie ein wenig rennen können. Heute ohne Hunde, setzt er sich auf eine Bank und beobachtet die Enten, die im kleinen, verdreckten Teich umherschwimmen. Ohne, dass er es unterbinden kann, wandern seine Gedanken zu Viola, das machen sie oft, und ihm wird ganz unangenehm heiß dabei, als könnte ihn jeden Moment jemand dabei erwischen, wie er sich vorstellt, dass sie ihn einmal liebevoll statt vernichtend anlächelt. Niemand weiß genau, wie alt Oliver ist, aber er wird höchstens zwei Jahre älter sein als Viola. Ihm kommt es jedoch so vor, als wäre Viola die ältere, sie scheint so gefestigt zu sein, sich ihrer Identität und Außenwirkung so bewusst, dass Oliver sich schämt, wenn sie sich im selben Raum aufhalten. Oliver packt das Teilchen aus der Bäckereitüte, zwingt sich, an den Schuhgeruch zu denken und beißt ein Stück ab. Schuhe, Leder, irgendwie holzig, worauf könnte es hinweisen, dass dieser Geruch etwas mit ihm macht? Vielleicht war er selbst Schuster, oder sein Vater ist einer, oder er wohnt über einem Schuhgeschäft? Oliver reibt sich die Augen und versucht, sich den Geruch vorzustellen. Eine Sehnsucht überkommt ihn, er vermisst eine Familie, von der er überhaupt nichts weiß, er vermisst es, dazuzugehören. Sein Hals wird eng und seine Augen brennen. Der Ententeich verschwimmt vor seinen Augen und er atmet schwer. Er beißt noch einmal vom Plunder ab und versucht, die Geschichte seiner potenziellen Familie weiter zu erkunden, sein Gesicht juckt. Ob er wohl Geschwister hat? Im Alter von Viola oder vielleicht älter als er? Leben seine Großeltern wohl noch? Sein Mund ist trocken und sein Hals wird enger, er schafft es nicht mehr, durchzuatmen. Ein bedrückendes Gefühl breitet sich in seiner Brust aus. Sind seine Eltern zusammen, sind sie geschieden, lieben sie sich? Sein Arm sinkt neben ihn auf die Bank, der Kirschplunder liegt nur noch locker in seiner Hand. Spielt sein Vater eine präsente Rolle in seinem Leben? Es fühlt sich an, als würde er nur noch durch ein winzig kleines Loch atmen können. Er schließt die Augen. Sein Hals verengt sich. Aus der Hand fällt das süße Gebäck auf den Boden, eine Ente läuft darauf zu und beginnt, es zu zerteilen.

  • Tagebuch

    Mein (Teil vom) Roman ist online!

    Ich glaube, der Gedanke an eine neue Person, die mich gerade kennenlernt, und der ich heute auf den Satz, dass sie gern mal was von mir lesen würde, den Link zu diesem Blog geschickt habe, hat die nötige Brücke in meinem Bewusstsein gebaut, dass es doch schlau wäre, diese Plattform zu nutzen, um den Roman, den alle lesen wollen, zu veröffentlichen. Und zwar handelt es sich um meinen Teil des Romans, den ich letztes Jahr mit einer Freundin gemeinsam für ein Uni-Projekt geschrieben hab und alle, die es interessiert (und die das hier lesen) haben jetzt Zugriff auf das Geschriebene! Und zwar hier: Robins Tagebuch.

    Es ist wie gesagt nur mein Teil des Romans, aber er könnte auch für sich alleine stehen. Ein fünfzehnjähriges Mädchen schreibt Tagebuch in der Gegenwart. Ich bin kein Teenager der Gegenwart, aber ich war mal ein fünfzehnjähriges Mädchen. Bitte sagt mir nicht, was ihr davon haltet. Respekt an alle, die diesen Roman online lesen, ihr seid meine Heldinnen und Helden. Der Song des Blogeintrags erinnert mich am meisten an meine Romanfigur, Robin.

  • Prosa

    Dissoziiert

    Oh du schlafloser Traum!

    Wenn man die Kanten angleicht

    noch ein wenig radiert, links und rechts

    bin ich fast weg.

    Wenn nur die Hälfte von mir hier ist

    wo ist dann der Rest?

    Ich überlege, während die Liege unter mir

    mich Richtung Decke schiebt

    die Frau meinen Kopf hält, “wo tut es weh?”

    und ich keine Antwort finde.

    Vor der Tür umworben von Staub

    der Straßenlärm dringt nicht zu mir durch

    so hilflos, aber unbesorgt

    vielleicht sehen die Leute, dass ich nicht da bin.

    Den Weg in die Wohnung finde ich im Schlaf

    und in ähnlichen Zuständen.

    Hätte man es mir nicht antrainiert

    wüsste ich’s nicht:

    warum stehen bei rot

    und gehen bei grün.

     

    Veröffentlicht in Frankfurter Bibliothek 2021, Brentano Gesellschaft FFM.

  • Tagebuch

    Ich schreibe, also bin ich krank

    Einen wunderschönen aus dem Krankenbett gesendet. Man könnte meinen, wenn ich nicht krank bin, käme ich nicht zur Ruhe, und man läge vermutlich richtig damit.

    Meine Katze Jamal leistet mir Gesellschaft, sie liegt den ganzen Tag mit mir im Bett und ist verwirrt, wenn ich mal aufstehe. Tatsächlich ist die Rumliegerei an Tag drei schon so wenig aushaltbar, dass ich seit Stunden überlege, ob ich lieber Katzenzimmer oder Wohnzimmer aufräume. In der Zeit, in der ich darüber philosophiere, welcher Raum es wohl dringender nötig hat, hätte ich bereits beide aufräumen können, aber pssst.

    Erneut hat mich auch die Schreibwut ergriffen, denn eine neue Saison der Schreibwerkstatt hat begonnen und vielleicht wird es meine letzte sein, wer weiß, wie lange ich noch immatrikuliert bin (ja Mama, ich melde bald die Masterarbeit an, keine Sorge, aber ich bin gerade KRANK).

    Ein Text über Grenzen.

    Arbeitstitel: Tagebücher einer Grenzgängerin.

    Idee: Fragmente aus Jahren, in denen ich noch nicht wusste, was falsch mit mir ist und Texte aus Jahren, in denen ich den Borderline-Stempel auf meiner Brust spazieren schob.

    Könnte was großes werden, könnte aber auch darin enden, dass ich in alten Texten versinke (wie soeben passiert, als ich diesen Blog nach brauchbarem Material durchforstet habe) und vergesse, was ich eigentlich vorhatte.

    Fun Fact: in meinem Lebenslauf, den ich wirklich an Bewerbungen anhänge, befindet sich ein Gedicht über Dissoziation. Komisch eigentlich, dass ich nur Absagen erhalten hab. Aber das Gedicht wurde für einen Gedichtband ausgewählt und ich kann mir nicht aussuchen, welche Texte von mir erfolgreich genug sind, um einen Beweis auf meinem Lebenslauf darzustellen, dass ich mal was geschafft habe.

    Ich fragmentiere dann mal weiter und vielleicht, ja vielleicht, räume ich auch eins der Zimmer auf.

  • Tagebuch

    Wie sich die Welt anfühlt, wenn mal wieder Herbst 2021 ist:

    Eskalation, unerklärbares Liebeskummergefühl im Bauch, nasse Füße und kalt, Netzstrumpfhosen, morgens Energydrinks trinken, Herzrasen, Augenzucken, Tremor. Skins rewatchen, Effy und Cassie, aber eher Cassie die meiste Zeit. Keine Termine, heftig einen sitzen, schminken–stylen–cocktailbar. Wie konnte ich mir das leisten? Schwarzarbeit, Ehrenamt, bei der Arbeit trinken. Alles ist romantisch, vor allem die mentale Instabilität, so lange, bis es nichts mehr zu lachen gibt. Nochmal Teenie sein auf eine Art, jeden Tag mit der besten Freundin verbringen, den ganzen Tag lang. Ein kaum eingerichtetes Zimmer, warmes Licht, Fireball und Euphoria. Flachmann in der Tinybag, two girls two cups, Tiktoks posten ohne die Sorge, wahrgenommen zu werden.

  • Tagebuch

    Das ist seit jeher meine Lieblingszeit gewesen und mir fällt nichts dazu ein?

    Als ich ungefähr 8 Jahre alt war, habe ich eine Obsession mit dem Leben im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts entwickelt. Ich wollte nur Nesthäkchen lesen, habe darauf bestanden, lange Rüschenkleider zu tragen und guckte regelmäßig Madita. Meine Mutter musste mir „Affenschaukeln“ flechten und ich las alle Bücher von Jules Verne, die ich im Bücherregal zuhause finden konnte. Ich fing an, alte Porzellanpuppen zu sammeln und vielleicht holte ich mir sogar einen kleinen Spuk ins Haus. Ich glaube, mittlerweile liegen die Puppen in Säcken im Keller, vielleicht sind sie auch in den nächsten Secondhandshop gewandert, was wünschenswert wäre. Jetzt soll ich einen Text über die Jahrhundertwende schreiben, die mich jahrelang in a chokehold hatte und mir fällt nichts ein? Soll ich versuchen, so zu schreiben, als hätte ich Ahnung, wie das Leben um 1900 war, obwohl ich 100 Jahre zu jung bin, um es wirklich zu wissen? Ich könnte noch tausend weitere Bücher aus der Zeit, über die Zeit, lesen, ich würde mir trotzdem nicht anmaßen, diesen Versuch zu wagen. Aber das ist ein Problem, dem ich mich stellen werde, na klar kann ich das wagen, als Experiment, im geschützten Raum der Schreibwerkstatt, wieso nicht??? Ja, wieso nicht. Lasse mir was einfallen, auf der Couch, müde vom in der Sonne liegen und lesen (Annie Ernaux Die Jahre) und Fast Food, den ESC nebenbei laufen lassend, um morgen nicht schon wieder fühlen zu müssen, etwas verpasst zu haben. Ist langweilig, genau wie ich es in Erinnerung hatte von dem Jahr, in dem Lena…

    Was gibt es sonst so Neues, ich habe 2 neue Lieblingsbücher, Das bist du von Ulrich Peltzer und Herztier von Herta Müller. Letzteres hab ich vorgestern zu Ende gelesen und kann es nicht erwarten, das im Lesekreis zu besprechen. Ich bin ja ein sucker für stark autobiografisch geprägte Romane, vielleicht wusstet ihr das noch nicht. Ich schreibe ihr, dabei fühlt sich dieser Blog immer an, als würde ich in den Äther schreien.

    Na dann, es wartet eine Geschichte darauf, geschrieben zu werden.

  • Prosa

    Tierquälerei oder Abi

    Dann endet also heute meine Schulpflicht. Ich krieche aus meiner Schlafkoje und schlüpfe in die Plüschpantoffeln, die auf dem Boden liegen. Auf dem kleinen Tisch in der Kochnische liegen ein Briefumschlag, eine Rose und ein nicht aufgeblasener Luftballon, der eine große 16 darstellen soll. Euch auch einen guten Morgen. Meine Mutter wird mit den Hunden draußen sein, mein Vater hilft wahrscheinlich schon beim Saubermachen des Zeltinnenraums und meinen Bruder interessiert sowieso niemand außer seiner Lena. Ich gieße mir lauwarmen Filterkaffee in meine Diddl-Tasse, setze mich und öffne den Briefumschlag. 

    Im Bus zur Gesamtschule, die ich seit 2 Wochen besuche, werde ich von allen, die in meiner Stufe sind, angestarrt. Wahrscheinlich wissen sie, dass ich heute Geburtstag habe, Frau Schmiede hat sich verplappert. Ich setze mich neben Toni, die sofort näher ans Fenster rückt und mich irgendwie komisch anlächelt. „Hast du Englisch gemacht?“, frage ich sie. Toni zieht die Schultern hoch und guckt stur aus dem Fenster. Bestimmt hat sie vergessen,Zähne zu putzen. 

    In der Cafeteria kaufe ich mir ein Laugenbrötchen und eine Packung Airwaves und bezahle mit dem 20€-Schein aus dem Briefumschlag. Kauend steige ich die Treppe bis in den zweiten Stock hoch und stelle mich neben Toni, die schon vor dem Englischraum an der Wand lehnt. Wortlos halte ich ihr die Kaugummis hin, doch sie schüttelt den Kopf. „Ist irgendwas?“, frage ich, woraufhin sie wieder mit den Schultern zuckt. Misses Stüttgen schließt uns den Raum auf, ich gehe zu meinem Platz, legemeinen Rucksack auf den Tisch und setze mich. Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich, dass jemand „TIERQUÄLER“ auf die Tafel geschmiert hat. „Was soll das, wer war das?“, fragt Misses Stüttgen. „In english please“, kommt es aus der letzten Reihe. Moritz, Klassenclown und Wackelkanditat. „Das richtet sich an eine Person hier“, sagt ein Mädchen vorne rechts, ich glaube, sie heißt Luisa. „In diesem Raum sitzt eine Person, deren Familie Tiere quält.“ Jetzt ist sie aufgestanden, alle schauenzu ihr. „Fionas Eltern sind dafür verantwortlich, dass Kamele, Esel und Kaninchen eingesperrt werden und Kunststücke vollführen müssen.“ Als mein Name fällt, fühlt es sich an als hätte mir jemand auf die Nase geboxt. „Ich möchte, dass ihr beide das woanders klärt“, sagt Misses Stüttgen. 

    Fast schon rennend verlasse ich das Büro des Schulleiters und ziehe mein Handy aus der Jackentasche. Mit der linken Hand wische ich mir die Tränen von den Wangen, „Hey Siri, ruf Mama an“. Es tutet sechs Mal, dann lege ich auf. Ich gehe zum Steinkreis hinter der Schule und setze mich auf eine der Bänke. Mein Oberkörper zittert, Rotze tropft auf meine Jeans. „Brauchstn Taschentuch?“. Erschrocken blicke ich die ältere Frau an, die vor mir steht und mir eine Packung Kokett hinhält. Ich zwinge mich, zu lächeln und greife nach der Packung. Als ich mich schnäuze, fragt die Frau, ob ich darüber reden möchte. Ich schüttle den Kopf, keuche und fange dann doch an, zu erzählen. 

    „Klingt, als müsstest du da mal mit deinen Eltern drüber reden“, sagt die Frau, als ich ihr von meinem bisherigen Geburtstag berichtet habe. „Hab‘ ich ja versucht, meine Mama geht nicht ran, mein Vater lässt sein Handy eh immer im Wohnwagen liegen und jetzt sitz ich hier“, antworte ich. „Meine Eltern quälen keine Tiere, wir haben halt welche. Die Tiere wären doch sonst auch nur im Zoo und nicht in der Wildnis. Wieso dürfen wir sie nicht trainieren, ich check das nicht“. Die Frau, die mittlerweile neben mir Platz genommen hat, guckt jetzt ernster. „Naja, die Tiere leiden schon, denk ich. Deine Klassenkameradin hat da schon Recht“, sagt sie. „Und was soll ich daran ändern?“, frage ich, „was soll ich machen, wenn ich im Frühling in Vollzeit im Zirkus arbeite, ich soll da Kamelreiten machen, meine Eltern wollen das so!“. „Gehst du dann nicht mehr zur Schule?“ –„Ist mein letztes Halbjahr, bin ja seit heute 16“. Ob ich denn nicht gern weiter zur Schule gehen würde, möchte die Frau wissen. „Die Schule find ich furchtbar. Ständig neue Leute, alle sind gemein, ich bin immer die Neue und die Komische. Darauf kann ich verzichten“, schniefe ich. „Und was möchtest du später mal machen? Für immer Zirkus?“, fragt die Frau. Mein Handy vibriert, meine Mutter. Ich halte der Frau das Display entgegen, sie nickt, ich hebe ab.

    Als ich auflege, ist die Frau weg. Ich konnte mich gar nicht verabschieden, weil ich so viel weinen musste, als meine Mutter fragte, was los sei. Ich habe ihr gesagt, dass ich keine Tiere quälen möchte, sie meinte, wir reden später, sie hat jetzt keine Zeit. Lustlos schleppe ich mich Richtung Schützenplatz, auf dem unser Zelt und die Wohnwagen stehen. Die Frau war so erstaunt, dass ich nicht mehr zur Schule gehen werde, dabei hasse ich die Schule. Ich bin froh, dass ich jetzt 16 bin, die zehnte Klasse noch hinter mich bringe und das war’s für mich. Aber ein Leben lang Zirkus klingt gar nicht mal so gut. Ich hasse das ständige Weggerissenwerden und nie Freundinnen finden, ich möchte ankommen. Mein Bruder hat’s gut, der hat Lena und die reist mit uns mit, seit sie von Zuhause abgehauen ist. Ich wär gern wie sie, so mutig und hübsch und in der Lage, jemandem den Kopf zu verdrehen. Mich haben alle ignoriert und jetzt hassen sie mich, sogar Toni, mit der ich mich gut verstanden habe bisher. Und das alles wegen Tierquälerei, dabei lieben wir doch die Tiere. Am Schützenplatz angekommen, nehme ich mir vor, meine Eltern zur Rede zu stellen. Wenn sie wirklich Tiere quälen, bin ich raus. Den Gedanken, dass die Alternative an irgendeiner Schule ohne meine Eltern in der Nähe Abi zu machen ist, schüttle ich aus meinem Kopf, bevor er zu Ende formuliert ist.

    Ich öffne die Tür zu unserem Wohnwagen und sehe zuerst Lena. „Überraschung!!“, ruft es aus dem Innenraum. Ich merke, wie mir das Blut ins Gesicht schießt und Tränen sich in meinen Augen sammeln. „Oh“, bringe ich heraus und starre auf den Boden, damit niemand meine Scham sieht. Fast alle aus dem Zirkus sind da, Luigi und Lotte stehen hinter meinem Bruder und sogar der kleine Oskar ist dabei und hält mir ein selbstgemaltes Bild hin. Seine Eltern, Marie und Jakob, werden bald unser Team verlassen, um „sesshaftzu werden“. Vielleicht können sie mich mitnehmen, denke ich, wische mir unauffällig über die Augen und setze mein schönstes Fake-Lächeln auf. 

    Der letzte Bissen Benjamin-Blümchen-Torte landet in meinem Mund und ich bin zufrieden. Ich schaue durch die Runde, die sich mittlerweile vergrößert und deshalb vor den Wohnwagen verlagert hat, und blicke in die einzigen vertrauten Gesichter, die ich in meinem Leben kenne. Wenn es sich so anfühlt, seit der ersten Klasse mit denselben Leuten im Unterricht zu sitzen, verstehe ich, wieso viele aus meiner Stufe so selbstbewusst sind. Dafür habe ich diese Familie und die besteht nicht nur aus Eltern und Bruder, sie besteht aus den Menschen, die heute mit mir meinen Geburtstag feiern.Viele von ihnen hat eine traurige Geschichte zum Zirkus gebracht. Wenn das hier meine Geschichte ist, bin ich doch ganz gut dran. 

    Ich sitze mit Oskar auf unserer Couch, die nachts zum Bett meines Bruders wird, und wir lassen uns einen Ball zukullern. Draußen schreit der Esel und Jay, einer unserer Hunde, fängt an zu bellen. Ich lege den Ball weg, sage „schön sitzen bleiben, ich bin gleich wieder da“ zu Oskar und trete nach draußen. Die Erwachsenen sind alle nicht da, die meisten sind Bier und Wein kaufen gefahren, die anderen kochen in ihren Wagen und mein Bruder ist mit Lena „den Sprinter tanken“, also knutschen, gefahren. Mein Herz klopft bis in meinen Kopf rein, als ich über den Schotterplatz laufe. Irgendwas stimmt mit dem Esel nicht, es klingt, als wäre jemand bei ihm. Ich leuchte mit meiner Handytaschenlampe Richtung Stall und werde schneller. Ich habe keine Waffe, ich werde den Esel mit meinem Körper verteidigen müssen, das macht mir Angst. Plötzlich höre ich eine bekannte Stimme. „Ne, so klappt das nicht, Linus, geh du mal auf die andere Seite“, sagt sie. Ich zittere vor Aufregung und Wut, als ich auf sie zugehe. „Was soll das hier?“, sage ich laut, aber meine Stimme klingt kratzig und viel zu hoch. Die Personen, die ich jetzt als Leute aus meiner Klasseerkenne, erstarren. 

    Die erste, die sich traut, zu sprechen, ist Luisa. „Wir retten eure Tiere, weil man das von euch ja nicht erwarten kann“, zickt sie mich an. Meine Augen füllen sich zum hundertsten Mal heute mit Tränen, diesmal vor Wut. „Ihr könnt doch nicht einfach unseren Esel klauen?“, schreie ich, „das ist das Einkommen von meiner Familie, habt ihr da schon mal drüber nachgedacht?“. Hinter Luisa tritt plötzlich Toni hervor. „Du hast ja nichts falsch gemacht, aber die Tiere tun uns halt leid“, sagt sie. Die Tränen laufen meine Wangen runter und es ist mir egal. „Heute ist mein Geburtstag, bitte lasst mich und meine Familie in Ruhe“, sage ich weinend. 

    Wieder im Wohnwagen, decke ich Oskar mit meiner Häkeldecke zu. Ich versuche, so leise wie möglich zu weinen, als ich Mamas Auto auf den Platz fahren höre. Für heute Nacht habe ich Luisa und ihre Weltrettercrew verscheucht, aber ich bin sicher, dass sie wiederkommen werden. Und vielleicht haben sie Recht damit. Die Tiere sind schon ewig bei uns, nur die Hunde sind noch jung. Wenn ich den Zirkus übernehme, und darüber muss ich noch dringend nachgrübeln, bin ich die letzte Generation hier, die noch Tiere mit durchs Land schleppt. Außer Hunde, die braucht der Zirkus dringend. Die Wohnwagentür geht auf und Lotte betritt den Raum, mit einem dampfenden Topf in den Händen.

  • Tagebuch

    Kneipenidee

    Bald muss ich mich fertig machen. Will ich wirklich in den Pub (die Pub) oder will ich nur was trinken? Ich denke, ich will nicht alleine sein, etwas erleben. Aber wieviel erlebe ich in den immer gleichen Kneipen? Wird es nicht mühsam, werden die vielen Abende in Kneipen nicht alle zu einem dickflüssigen, klebrigen Ball in meinen Erinnerungen? Sollte ich nicht schreiben, habe ich nicht genug erlebt, um zu schreiben? ich laufe wohl weg, so wie meine Mutter auch, vor der Angst, dem Gewissen, der Gewissheit meiner Angst. Gestern hatte ich einen kleinen Eingriff mit Vollnarkose. Leichte Schmerzen und Nachblutung, aber alles okay. Wenn nicht, haben sie das wohl aus mir rausgeschabt und es ist im Labor. Heute dann bei meiner Ärztin gewesen und Haushalt gemacht, aber nicht zu viel, ich sollte mich schonen. Als F anrief und sagte, morgen klappt nicht, kannst du auch Freitag, manifestierte sich die Kneipenidee in mir- Mich schonen, ja.

    Ich beobachte Teenagerinnen und fühle mich dabei beobachtet. Entschuldigung, ich brauche das für meine Kunst. Aber Teenagerinnen werden von allen beobachtet, nicht nur für Kunst und ich erinnere mich.

  • Tagebuch

    Tradition Silvester-Eintrag

    Eine Tradition von mir ist, dass ich am 31.12. Tagebuch schreibe. Dabei nicht aufs Jahr rückblickend, sondern einfach beschreibend was ich an dem Tag mache.

    Gestern war das jährliche Weihnachtsessen mit Bescherung von meinen Girlies und mir. Eine Freundin kocht immer ein 5-Gänge-Menü für uns, das zur Saison passt 😯 Es war mal wieder extrem lecker und ich bin über 12 Stunden später immer noch satt. Die Bescherung war auch sehr lieb, alle sind zufrieden mit ihren Geschenken und für mich gab es einen Thermobecher, der funktioniert wie eine Bier/Monster/Cola-Dose, aber mit Strohhalm? Schwierig zu erklären merke ich grad. Außerdem habe ich eine kuschelweiche Tasche bekommen und Süßigkeiten und einen Gutschein zum Töpferdate. Das ist so lieb alles. 😳

    Eigentlich sollte ich mich meinem Romanprojekt widmen und Tagebuch aus der Sicht einer 15-Jährigen schreiben, aber ich habe das Gefühl, genau das mache ich gerade. Habe mir in der letzten Stunde archivierte Blogs angeguckt, die ich als Teenager 5 Mal täglich aktualisiert und durchgelesen habe. Allgemein, wie cool war die Zeit der Blogs? Ich hatte so eine gute Zeit, als Blogs das spannendste waren, was das Internet zu bieten hatte. Ich glaube ja, 2024 wird das neue 2014 (oder 2011) und Blogs kommen zurück. Can’t wait tbh.

    Was ich gerade lese: The Lonely City von Olivia Laing und ich versuche Normal People von Sally Rooney, aber ich halte es nicht aus, weiterzulesen.

    Was ich gerade höre: After Midnight – Phoenix, Clairo.

    Was ihr hören solltet: mein <3 ABFFL <3 Silva hat einen Track auf einer V/A, die gerade erschienen ist. Ich hatte gehofft, er wird Track 5, weil Track 5 bekanntermaßen der beste Track auf jedem Album ist. Uuuuund er ist wirklich Track 5! Gönnt euch den Track auf Soundcloud oder unterstützt ihn auf bandcamp 😎

    Hier noch ein paar Silvester-Einträge der letzten Dekaden: