• Prosa

    Dissoziiert

    Oh du schlafloser Traum!

    Wenn man die Kanten angleicht

    noch ein wenig radiert, links und rechts

    bin ich fast weg.

    Wenn nur die Hälfte von mir hier ist

    wo ist dann der Rest?

    Ich überlege, während die Liege unter mir

    mich Richtung Decke schiebt

    die Frau meinen Kopf hält, “wo tut es weh?”

    und ich keine Antwort finde.

    Vor der Tür umworben von Staub

    der Straßenlärm dringt nicht zu mir durch

    so hilflos, aber unbesorgt

    vielleicht sehen die Leute, dass ich nicht da bin.

    Den Weg in die Wohnung finde ich im Schlaf

    und in ähnlichen Zuständen.

    Hätte man es mir nicht antrainiert

    wüsste ich’s nicht:

    warum stehen bei rot

    und gehen bei grün.

     

    Veröffentlicht in Frankfurter Bibliothek 2021, Brentano Gesellschaft FFM.

  • Tagebuch

    Ich schreibe, also bin ich krank

    Einen wunderschönen aus dem Krankenbett gesendet. Man könnte meinen, wenn ich nicht krank bin, käme ich nicht zur Ruhe, und man läge vermutlich richtig damit.

    Meine Katze Jamal leistet mir Gesellschaft, sie liegt den ganzen Tag mit mir im Bett und ist verwirrt, wenn ich mal aufstehe. Tatsächlich ist die Rumliegerei an Tag drei schon so wenig aushaltbar, dass ich seit Stunden überlege, ob ich lieber Katzenzimmer oder Wohnzimmer aufräume. In der Zeit, in der ich darüber philosophiere, welcher Raum es wohl dringender nötig hat, hätte ich bereits beide aufräumen können, aber pssst.

    Erneut hat mich auch die Schreibwut ergriffen, denn eine neue Saison der Schreibwerkstatt hat begonnen und vielleicht wird es meine letzte sein, wer weiß, wie lange ich noch immatrikuliert bin (ja Mama, ich melde bald die Masterarbeit an, keine Sorge, aber ich bin gerade KRANK).

    Ein Text über Grenzen.

    Arbeitstitel: Tagebücher einer Grenzgängerin.

    Idee: Fragmente aus Jahren, in denen ich noch nicht wusste, was falsch mit mir ist und Texte aus Jahren, in denen ich den Borderline-Stempel auf meiner Brust spazieren schob.

    Könnte was großes werden, könnte aber auch darin enden, dass ich in alten Texten versinke (wie soeben passiert, als ich diesen Blog nach brauchbarem Material durchforstet habe) und vergesse, was ich eigentlich vorhatte.

    Fun Fact: in meinem Lebenslauf, den ich wirklich an Bewerbungen anhänge, befindet sich ein Gedicht über Dissoziation. Komisch eigentlich, dass ich nur Absagen erhalten hab. Aber das Gedicht wurde für einen Gedichtband ausgewählt und ich kann mir nicht aussuchen, welche Texte von mir erfolgreich genug sind, um einen Beweis auf meinem Lebenslauf darzustellen, dass ich mal was geschafft habe.

    Ich fragmentiere dann mal weiter und vielleicht, ja vielleicht, räume ich auch eins der Zimmer auf.

  • Tagebuch

    Wie sich die Welt anfühlt, wenn mal wieder Herbst 2021 ist:

    Eskalation, unerklärbares Liebeskummergefühl im Bauch, nasse Füße und kalt, Netzstrumpfhosen, morgens Energydrinks trinken, Herzrasen, Augenzucken, Tremor. Skins rewatchen, Effy und Cassie, aber eher Cassie die meiste Zeit. Keine Termine, heftig einen sitzen, schminken–stylen–cocktailbar. Wie konnte ich mir das leisten? Schwarzarbeit, Ehrenamt, bei der Arbeit trinken. Alles ist romantisch, vor allem die mentale Instabilität, so lange, bis es nichts mehr zu lachen gibt. Nochmal Teenie sein auf eine Art, jeden Tag mit der besten Freundin verbringen, den ganzen Tag lang. Ein kaum eingerichtetes Zimmer, warmes Licht, Fireball und Euphoria. Flachmann in der Tinybag, two girls two cups, Tiktoks posten ohne die Sorge, wahrgenommen zu werden.

  • Tagebuch

    Das ist seit jeher meine Lieblingszeit gewesen und mir fällt nichts dazu ein?

    Als ich ungefähr 8 Jahre alt war, habe ich eine Obsession mit dem Leben im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts entwickelt. Ich wollte nur Nesthäkchen lesen, habe darauf bestanden, lange Rüschenkleider zu tragen und guckte regelmäßig Madita. Meine Mutter musste mir „Affenschaukeln“ flechten und ich las alle Bücher von Jules Verne, die ich im Bücherregal zuhause finden konnte. Ich fing an, alte Porzellanpuppen zu sammeln und vielleicht holte ich mir sogar einen kleinen Spuk ins Haus. Ich glaube, mittlerweile liegen die Puppen in Säcken im Keller, vielleicht sind sie auch in den nächsten Secondhandshop gewandert, was wünschenswert wäre. Jetzt soll ich einen Text über die Jahrhundertwende schreiben, die mich jahrelang in a chokehold hatte und mir fällt nichts ein? Soll ich versuchen, so zu schreiben, als hätte ich Ahnung, wie das Leben um 1900 war, obwohl ich 100 Jahre zu jung bin, um es wirklich zu wissen? Ich könnte noch tausend weitere Bücher aus der Zeit, über die Zeit, lesen, ich würde mir trotzdem nicht anmaßen, diesen Versuch zu wagen. Aber das ist ein Problem, dem ich mich stellen werde, na klar kann ich das wagen, als Experiment, im geschützten Raum der Schreibwerkstatt, wieso nicht??? Ja, wieso nicht. Lasse mir was einfallen, auf der Couch, müde vom in der Sonne liegen und lesen (Annie Ernaux Die Jahre) und Fast Food, den ESC nebenbei laufen lassend, um morgen nicht schon wieder fühlen zu müssen, etwas verpasst zu haben. Ist langweilig, genau wie ich es in Erinnerung hatte von dem Jahr, in dem Lena…

    Was gibt es sonst so Neues, ich habe 2 neue Lieblingsbücher, Das bist du von Ulrich Peltzer und Herztier von Herta Müller. Letzteres hab ich vorgestern zu Ende gelesen und kann es nicht erwarten, das im Lesekreis zu besprechen. Ich bin ja ein sucker für stark autobiografisch geprägte Romane, vielleicht wusstet ihr das noch nicht. Ich schreibe ihr, dabei fühlt sich dieser Blog immer an, als würde ich in den Äther schreien.

    Na dann, es wartet eine Geschichte darauf, geschrieben zu werden.

  • Prosa

    Tierquälerei oder Abi

    Dann endet also heute meine Schulpflicht. Ich krieche aus meiner Schlafkoje und schlüpfe in die Plüschpantoffeln, die auf dem Boden liegen. Auf dem kleinen Tisch in der Kochnische liegen ein Briefumschlag, eine Rose und ein nicht aufgeblasener Luftballon, der eine große 16 darstellen soll.Euch auch einen guten Morgen. Meine Mutter wird mit den Hunden draußen sein, mein Vater hilft wahrscheinlich schon beim Saubermachen des Zeltinnenraums und meinen Bruder interessiert sowieso niemand außer seiner Lena. Ich gieße mir lauwarmen Filterkaffee in meine Diddl-Tasse, setze mich und öffne den Briefumschlag. 

    Im Bus zur Gesamtschule, die ich seit 2 Wochen besuche, werde ich von allen, die in meiner Stufe sind, angestarrt. Wahrscheinlich wissen sie, dass ich heute Geburtstag habe, Frau Schmiede hat sich verplappert. Ich setze mich neben Toni, die sofort näher ans Fenster rückt und mich irgendwie komisch anlächelt. „Hast du Englisch gemacht?“, frage ich sie. Toni zieht die Schultern hoch und guckt stur aus dem Fenster. Bestimmt hat sie vergessen,Zähne zu putzen. 

    In der Cafeteria kaufe ich mir ein Laugenbrötchen und eine Packung Airwaves und bezahle mit dem 20€-Schein aus dem Briefumschlag. Kauend steige ich die Treppe bis in den zweiten Stock hoch und stelle mich neben Toni, die schon vor dem Englischraum an der Wand lehnt. Wortlos halte ich ihr die Kaugummis hin, doch sie schüttelt den Kopf. „Ist irgendwas?“, frage ich, woraufhin sie wieder mit den Schultern zuckt. Misses Stüttgen schließt uns den Raum auf, ich gehe zu meinem Platz, legemeinen Rucksack auf den Tisch und setze mich. Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich, dass jemand „TIERQUÄLER“ auf die Tafel geschmiert hat. „Was soll das, wer war das?“, fragt Misses Stüttgen. „In english please“, kommt es aus der letzten Reihe. Moritz, Klassenclown und Wackelkanditat. „Das richtet sich an eine Person hier“, sagt ein Mädchen vorne rechts, ich glaube, sie heißt Luisa. „In diesem Raum sitzt eine Person, deren Familie Tiere quält.“ Jetzt ist sie aufgestanden, alle schauenzu ihr. „FionasEltern sind dafür verantwortlich, dass Kamele, Esel und Kaninchen eingesperrt werden und Kunststücke vollführen müssen.“ Als mein Name fällt, fühlt es sich an als hätte mir jemand auf die Nase geboxt. „Ich möchte, dass ihr beide das woanders klärt“, sagt Misses Stüttgen. 

    Fast schon rennend verlasse ich das Büro des Schulleiters und ziehe mein Handy aus der Jackentasche. Mit der linken Hand wische ich mir die Tränen von den Wangen, „Hey Siri, ruf Mama an“.Es tutet sechs Mal, dann lege ich auf. Ich gehe zum Steinkreis hinter der Schule und setze mich auf eine der Bänke. Mein Oberkörper zittert, Rotze tropft auf meine Jeans. „Brauchstn Taschentuch?“. Erschrocken blicke ich die ältere Frau an, die vor mir steht und mir eine Packung Kokett hinhält. Ich zwinge mich, zu lächeln und greife nach der Packung. Als ich 

    mich schnäuze, fragt die Frau, ob ich darüber reden möchte. Ich schüttle den Kopf, keuche und fange dann doch an, zu erzählen. 

    „Klingt, als müsstest du da mal mit deinen Eltern drüber reden“, sagt die Frau, als ich ihr von meinem bisherigen Geburtstag berichtet habe. „Hab‘ ich ja versucht, meine Mama geht nicht ran, mein Vater lässt sein Handy eh immer im Wohnwagen liegen und jetzt sitz ich hier“, antworte ich. „Meine Eltern quälen keine Tiere, wir haben halt welche. Die Tiere wären doch sonst auch nur im Zoo und nicht in der Wildnis. Wieso dürfen wir sie nicht trainieren, ich check das nicht“. Die Frau, die mittlerweile neben mir Platz genommen hat, guckt jetzt ernster. „Naja, die Tiere leiden schon, denk ich. Deine Klassenkameradin hat da schon Recht“, sagt sie. „Und was soll ich daran ändern?“, frage ich, „was soll ich machen, wenn ich im Frühling in Vollzeit im Zirkus arbeite, ich soll da Kamelreiten machen, meine Eltern wollen das so!“. „Gehst du dann nicht mehr zur Schule?“ –„Ist mein letztes Halbjahr, bin ja seit heute 16“. Ob ich denn nicht gern weiter zur Schule gehen würde, möchte die Frau wissen. „Die Schule find ich furchtbar. Ständig neue Leute, alle sind gemein, ich bin immer die Neue und die Komische. Darauf kann ich verzichten“, schniefe ich. „Und was möchtest du später mal machen? Für immer Zirkus?“, fragt die Frau. Mein Handy vibriert, meine Mutter. Ich halte der Frau das Display entgegen, sie nickt, ich hebe ab.

    Als ich auflege, ist die Frau weg. Ich konnte mich gar nicht verabschieden, weil ich so viel weinen musste, als meine Mutter fragte, was los sei. Ich habe ihr gesagt, dass ich keine Tiere quälen möchte, sie meinte, wir reden später, sie hat jetztkeine Zeit. Lustlos schleppe ich mich Richtung Schützenplatz, auf dem unser Zelt und die Wohnwagen stehen. Die Frau war so erstaunt, dass ich nicht mehr zur Schule gehen werde, dabei hasse ich die Schule. Ich bin froh, dass ich jetzt 16 bin, die zehnte Klasse noch hinter mich bringe und das war’s für mich. Aber ein Leben lang Zirkus klingt gar nicht mal so gut. Ich hasse das ständigeWeggerissenwerden und nie Freundinnen finden, ich möchte ankommen. Mein Bruder hat’s gut, der hat Lena und die reist mit uns mit, seit sie von Zuhause abgehauen ist. Ich wär gern wie sie, so mutig und hübsch und in der Lage, jemandem den Kopf zu verdrehen. Mich haben alle ignoriert und jetzt hassen sie mich, sogar Toni, mit der ich mich gut verstanden habebisher. Und das alles wegen Tierquälerei, dabei lieben wir doch die Tiere. Am Schützenplatz angekommen, nehme ich mir vor, meine Eltern zur Rede zu stellen. Wenn sie wirklich Tiere quälen, bin ich raus. Den Gedanken, dass die Alternativean irgendeiner Schule ohne meine Eltern in der Nähe Abizumachenist, schüttle ich aus meinem Kopf, bevor er zu Ende formuliert ist.

    Ich öffne die Tür zu unserem Wohnwagen und sehe zuerst Lena. „Überraschung!!“, ruft es aus dem Innenraum. Ich merke, wie mir das Blut ins Gesicht schießt und Tränen sich in meinen Augen sammeln. „Oh“, bringe ich heraus und starre auf den Boden, damit niemand meine Scham sieht. Fast alle aus dem Zirkus sind da, Luigi und Lotte stehen hinter meinem Bruder und sogar der kleine Oskarist dabei und hält mir ein selbstgemaltes Bild hin. Seine Eltern, Marie und Jakob,werden bald unser Team verlassen, um „sesshaftzu werden“. Vielleicht 

    können sie mich mitnehmen, denke ich, wische mir unauffällig über die Augen und setze mein schönstes Fake-Lächeln auf. 

    Der letzte Bissen Benjamin-Blümchen-Torte landet in meinem Mund und ich bin zufrieden. Ich schaue durch die Runde, die sich mittlerweile vergrößert und deshalb vor den Wohnwagen verlagert hat, und blicke in dieeinzigen vertrauten Gesichter, die ich in meinem Leben kenne. Wenn es sich so anfühlt, seit der ersten Klasse mit denselben Leuten im Unterricht zu sitzen, verstehe ich, wieso viele aus meiner Stufe so selbstbewusst sind. Dafür habe ich diese Familie und diebesteht nicht nur aus Eltern und Bruder, sie besteht aus denMenschen, die heute mit mir meinen Geburtstag feiern.Viele von ihnen hateine traurige Geschichte zum Zirkus gebracht. Wenn das hier meine Geschichte ist, bin ich doch ganz gut dran. 

    Ich sitze mit Oskar auf unserer Couch, die nachts zum Bett meines Bruders wird, und wir lassen uns einen Ball zukullern. Draußen schreit der Esel und Jay, einer unserer Hunde, fängt an zu bellen. Ich lege den Ball weg, sage „schön sitzen bleiben, ich bin gleich wieder da“ zu Oskar und trete nach draußen. Die Erwachsenen sind alle nicht da, die meisten sind Bier und Wein kaufen gefahren, die anderen kochen in ihren Wagen und mein Bruder ist mit Lena den Sprinter„tanken“, also knutschen, gefahren. Mein Herz klopft bis in meinen Kopf rein, als ich über den Schotterplatz laufe. Irgendwas stimmt mit dem Esel nicht, es klingt, als wäre jemand bei ihm. Ich leuchte mit meiner Handytaschenlampe Richtung Stall und werde schneller. Ich habe keine Waffe, ich werde den Esel mit meinem Körper verteidigen müssen, das macht mir Angst. Plötzlich höre ich eine bekannte Stimme. „Ne, so klappt das nicht, Linus, geh du mal auf die andere Seite“, sagt sie. Ich zittere vor Aufregung und Wut, als ich auf sie zugehe. „Was soll das hier?“, sage ich laut, aber meine Stimme klingt kratzig und viel zu hoch. Die Personen, die ich jetzt als Leute aus meiner Klasseerkenne, erstarren. 

    Die erste, die sich traut, zu sprechen, ist Luisa. „Wir retten eure Tiere, weil man das von euch ja nicht erwarten kann“, zickt sie mich an. Meine Augen füllen sich zum hundertsten Mal heute mit Tränen, diesmal vor Wut. „Ihr könnt doch nicht einfach unseren Esel klauen?“, schreie ich, „das ist das Einkommen von meiner Familie, habt ihr da schon mal drüber nachgedacht?“. Hinter Luisa tritt plötzlich Toni hervor. „Du hast ja nichts falsch gemacht, aber die Tiere tun uns halt leid“, sagt sie. Die Tränen laufenmeine Wangen runter und es ist mir egal. „Heute ist mein Geburtstag, bitte lasst mich und meine Familie in Ruhe“, sage ichweinend. 

    Wieder im Wohnwagen, decke ich Oskar mit meiner Häkeldecke zu. Ich versuche, so leise wie möglich zu weinen, als ich Mamas Auto auf den Platz fahren höre. Für heute Nacht habe ich Luisa und ihre Weltrettercrew verscheucht, aber ich bin sicher, dass sie wiederkommen werden.Und vielleicht haben sie Recht damit. Die Tiere sind schon ewig bei uns, nur die Hunde sind noch jung. Wenn ich den Zirkus übernehme, und darüber muss ich noch dringend nachgrübeln, bin ich die letzte Generation hier, die noch Tiere mit durchs Land schleppt. Außer Hunde, die braucht der Zirkus dringend. Die Wohnwagentür geht auf und Lotte betritt den Raum, mit einem dampfenden Topf in den Händen.

  • Tagebuch

    Kneipenidee

    Bald muss ich mich fertig machen. Will ich wirklich in den Pub (die Pub) oder will ich nur was trinken? Ich denke, ich will nicht alleine sein, etwas erleben. Aber wieviel erlebe ich in den immer gleichen Kneipen? Wird es nicht mühsam, werden die vielen Abende in Kneipen nicht alle zu einem dickflüssigen, klebrigen Ball in meinen Erinnerungen? Sollte ich nicht schreiben, habe ich nicht genug erlebt, um zu schreiben? ich laufe wohl weg, so wie meine Mutter auch, vor der Angst, dem Gewissen, der Gewissheit meiner Angst. Gestern hatte ich einen kleinen Eingriff mit Vollnarkose. Leichte Schmerzen und Nachblutung, aber alles okay. Wenn nicht, haben sie das wohl aus mir rausgeschabt und es ist im Labor. Heute dann bei meiner Ärztin gewesen und Haushalt gemacht, aber nicht zu viel, ich sollte mich schonen. Als F anrief und sagte, morgen klappt nicht, kannst du auch Freitag, manifestierte sich die Kneipenidee in mir- Mich schonen, ja.

    Ich beobachte Teenagerinnen und fühle mich dabei beobachtet. Entschuldigung, ich brauche das für meine Kunst. Aber Teenagerinnen werden von allen beobachtet, nicht nur für Kunst und ich erinnere mich.

  • Tagebuch

    Tradition Silvester-Eintrag

    Eine Tradition von mir ist, dass ich am 31.12. Tagebuch schreibe. Dabei nicht aufs Jahr rückblickend, sondern einfach beschreibend was ich an dem Tag mache.

    Gestern war das jährliche Weihnachtsessen mit Bescherung von meinen Girlies und mir. Eine Freundin kocht immer ein 5-Gänge-Menü für uns, das zur Saison passt 😯 Es war mal wieder extrem lecker und ich bin über 12 Stunden später immer noch satt. Die Bescherung war auch sehr lieb, alle sind zufrieden mit ihren Geschenken und für mich gab es einen Thermobecher, der funktioniert wie eine Bier/Monster/Cola-Dose, aber mit Strohhalm? Schwierig zu erklären merke ich grad. Außerdem habe ich eine kuschelweiche Tasche bekommen und Süßigkeiten und einen Gutschein zum Töpferdate. Das ist so lieb alles. 😳

    Eigentlich sollte ich mich meinem Romanprojekt widmen und Tagebuch aus der Sicht einer 15-Jährigen schreiben, aber ich habe das Gefühl, genau das mache ich gerade. Habe mir in der letzten Stunde archivierte Blogs angeguckt, die ich als Teenager 5 Mal täglich aktualisiert und durchgelesen habe. Allgemein, wie cool war die Zeit der Blogs? Ich hatte so eine gute Zeit, als Blogs das spannendste waren, was das Internet zu bieten hatte. Ich glaube ja, 2024 wird das neue 2014 (oder 2011) und Blogs kommen zurück. Can’t wait tbh.

    Was ich gerade lese: The Lonely City von Olivia Laing und ich versuche Normal People von Sally Rooney, aber ich halte es nicht aus, weiterzulesen.

    Was ich gerade höre: After Midnight – Phoenix, Clairo.

    Was ihr hören solltet: mein <3 ABFFL <3 Silva hat einen Track auf einer V/A, die gerade erschienen ist. Ich hatte gehofft, er wird Track 5, weil Track 5 bekanntermaßen der beste Track auf jedem Album ist. Uuuuund er ist wirklich Track 5! Gönnt euch den Track auf Soundcloud oder unterstützt ihn auf bandcamp 😎

    Hier noch ein paar Silvester-Einträge der letzten Dekaden:

  • Tagebuch

    Deutschlandwetter

    Ich versuche gerade, eine Geschichte für die Schreibwerkstatt zu schreiben, aber mein Gehirn ist sehr langsam und nicht in der richtigen Verfassung. Ich zwinge mich aber trotzdem dazu, denn ich hab mir das heute vorgenommen  👿

    Für ein großes Uni-Projekt haben eine Freundin und ich überlegt, einen Roman zu schreiben und das klingt so viel schöner als eine wissenschaftliche Arbeit aber ahhhh 😡 warum ist literarisches Schreiben manchmal (oft) so furchtbar (ich liebe es) anstrengend. Wenn ich keine Geschichten schreiben kann fühle ich mich gar nicht wie ich selbst, das macht mich aus, das ist das einzige was ich kann aber manchmal (oft) kann ich es einfach nicht (ich gebe zu schnell auf). Können andere Schreibende das verstehen? (Ich schätze ja, das gehört wohl dazu). Ich werde es beim nächsten Stammtisch nach der Schreibwerkstatt mal ansprechen. Jedenfalls weiß ich nicht, ob wir es jetzt wirklich wagen sollen, in drei Monaten einen Roman zu schreiben, was wenn wir scheitern? Aber ich habe unfassbar Lust drauf und alles andere schmiert neben dieser Idee stark ab.

    Mein Plan für heute ist so viel aus dem Bett arbeiten, bis ich die Schnauze voll hab und ins eklige Dreckswetter rausgehe, in den neu umgebauten Aldi (viel schlechter als vorher, aber gewöhnt man sich wahrscheinlich dran), was zu essen für die WG, Wein o. ä., nicht noch mehr Weihnachtssüßigkeiten kaufen, wieder zurück ins Zimmer aber vielleicht an den Schreibtisch, und virtuell oder in Echt eine Freundin treffen, Wein trinken, Tag abschließen. Perfekter freier Tag im schlimmsten Deutschlandwetter, wenn ihr mich fragt.

    Ich versuche mich jetzt mal am Unizeugs, vielleicht hab ich danach ja mehr Muße für meine Geschichte…

  • Tagebuch

    unterwegs

    ich hab versucht, eine geschichte zu schreiben und schrieb einen blogpost. den lade ich wahrscheinlich die tage hier hoch, aber vielleicht unter prosa.

    ansonsten war meine woche voll mit kneipengesprächen, krisen und familienzeit. ich hab mich so viel ausgeruht, dass ich damit jetzt gar nicht aufhören will und die nächste woche wird stressig. ich bin gegen 20 uhr ins bett gegangen und jetzt ist 22:22 uhr. ich habe koyaanisqatsi für ein uni seminar geguckt, aber wenn ihr den film kennt, könnt ihr verstehen, wieso ich teilweise durchgeskippt habe, um die grundlage des films zu begreifen, ohne 90 minuten meines lebens zu verlieren. die natur holt sich ihren lebensraum zurück, vom mensch keine spur mehr, das alles aber rückwärts und in zeitlupe. bei meinen eltern in meinem alten kleiderschrank (jetzt der kleiderschrank meiner schwester) lag meine allererste puppe, die meine mama selbst genäht hat. sie heißt yvonne und sieht echt noch top aus dafür dass sie ende 20 ist. ihre frisur gleicht meiner vor zwei jahren, als ich mir die haare und kopfhaut totgebleicht habe. die puppe wohnt jetzt mit mir, weil sie mir leid tat, wie sie so im dunklen schrank lag zwischen strumpfhosen und kuschelsocken.

    eine stoffpuppe mit struppigem, blondem haar und einem jeanskleid, auf das schmetterlinge gestickt sind.

    grundsätzlich ist alles cool, nur zeitweise ist es schwierig dinge auszuhalten. und ich glaube, das ist ein normalzustand.

  • Prosa

    Berry steht nicht auf

    Seit Tagen ist da diese Schwere auf der Brust, jemand sitzt auf ihr, drückt sich gegen die Knochen und schnürt Berry die Luft ab. Nur wenn sie schläft, ist es auszuhalten, außer sie träumt davon, wie er sie betrügt. Die fiesesten Träume sind aber die, in denen sie kuscheln, was sie ja jetzt nicht mehr machen können, denn Berry hat es beendet. Einen Schlussstrich gezogen, das klingt so leicht und verblödet, als zöge man wahrhaftig einen Strich und alles wäre erledigt. Ne, nichts ist erledigt, Berry muss neu atmen lernen, kann nur noch Podcasts hören, keine Musik mehr und muss die zwanzig Minuten am Tag, an denen sie Nahrung zu sich nehmen kann, ganz genau planen. Zum Glück kriegt man Bananen immer irgendwie runter, denkt Berry. Am vierten Tag sitzt sie mit einer Freundin am See und erzählt von dem Jungen aus dem Ferienlager, der jeden Tag acht Bananen aß, weil er in der Bravo gelesen hat, dass 50 Cent jeden Tag acht Bananen isst. Sie kann lachen und dankbar sein, aber hinter ihrem Skelett sitzt eine rauchige, dichte Mischung aus Angst, Trauer und Einsamkeit, die sich, wenn Berry nicht aufmerksam ist, blitzschnell um alle Organe legt und ihr Blut einfriert. Sie versucht also, sich zu beschäftigen. Nicht zu sehr, man muss auch seine Emotionen atmen lassen, hat die Therapeutin gesagt. Aber sie darf sich beschäftigen und loslassen. 

    Am siebten Tag fährt Berry mit einer Freundin in die Stadt, um eine Ausstellung in einem Tunnel zu besuchen. Die meisten gezeigten Kunstwerke nehmen sie mit in andere Bereiche des Lebens, aber ein Gemälde sticht ihr in Magen und Herz, trotzdem guckt sie ganz genau hin. Ich überleb das schon, sagt sie sich, doch eine halbe Stunde später sitzt sie auf einer Bank neben der Kniebrücke und weint in das T-Shirt ihrer Freundin. Berry braucht einen Bodyguard, jemanden, der solange es geht bei ihr ist, damit sie nur die Nacht überstehen muss. 

    Die zweite Woche ist minimal leichter als die erste, sie muss jetzt nicht mehr jeder Person, die sie trifft, davon erzählen und kann ein Bier trinken ohne, dass es sie nach wenigen Schlucken in die Schattenwelt befördert. Es braucht jetzt mehr als einen Drink, damit Berry ihr Herz schwer in der Brust hängend wahrnimmt und ihre Glieder sich mechanisch langsam bewegen, während die Bäume nach und nach ihr Grün verlieren. Berry geht zur Psychiaterin, um sich ein neues Promethazin-Rezept ausstellen zu lassen und kann wieder einmal täglich etwas festes essen. Sie wacht morgens mit Angst auf und legt sich abends mit Angst nieder, doch dazwischen findet sich immer etwas Hoffnung, in der sie ein paar Stunden verbringt. Sie sieht die Dinge klarer; auch seine Gefühle wurden verletzt und er hat niemanden, er hat doch wirklich niemanden auf der Welt außer Berry. 

    Am elften Tag sitzt sie mit einem nicht-eingeweihten Freund auf einer Bank in ihrer Heimat und sagt, dass eine Beziehung keine Priorität in ihrem Leben hat. Der Freund scheint sich selbst auch anzulügen, denn er sagt, bei ihm auch nicht, wenn’s nicht sein soll, ist das eben so. Wir leben unser Leben und Liebende kommen und gehen, was bleibt ist die Freundschaft. Ein paar Stunden später tanzt sie in einem neu eröffneten Jugendclub und trifft bei einer Raucherpause ein frisch verliebtes Pärchen. Berry fühlt sich, als wäre sie mit dem Gesicht voran gegen eine Betonmauer gelaufen. Der Freund bringt sie nach Hause und erst dort erlaubt sie sich, zu weinen.