Onkeltag
Für heute ist ein Onkeltag geplant. Mein Onkel, der eigentlich nicht mein Onkel ist, sondern der Verlobte meiner besten Freundin, holt mich mit seinem Roller von der Uni ab, ich hatte ein Meeting und danach ein Bier für den Mut, auf einen Roller zu steigen. Wir fahren natürlich durch die Stadtmitte bei Feierabendverkehr, ich klammere mich am Roller fest und stelle mir alle Szenarien vor, durch die wir einen tödlichen Unfall haben könnten. Auto zieht auf unsere Spur, ohne zu blinken – tot. Der Reifen verfängt sich in der Spurrille der Straßenbahn – tot. Onkel ist unaufmerksam und fährt gegen ein Gebäude – tot. Ich entwickle Pläne, wie ich mich geschickt abrolle, rechtzeitig abspringe oder mich an einem Ast festhalte, während Onkel ins Verderben fährt, und dann meiner besten Freundin die schreckliche Nachricht überbringe. Es kommt nicht dazu, nicht einmal fast und bei Onkel Zuhause wechseln wir auf E-Bikes. Wir fahren zu Rewe und kaufen Snacks und Bier, ab hier ist Onkeltag. Auf einer Bank im Park ruft mein Bruder mich an, ob ich seinen Schlüssel mitgenommen habe, er würde jetzt gern nach Mainz zurückfahren. Habe ich nicht, denke ich zumindest, meine Mitbewohnerin findet auch nichts in meinem Zimmer, mein Bruder ruft zurück, er hatte den Schlüssel die ganze Zeit, schönen Onkeltag euch, danke, gute Heimfahrt dir. Drei Biere später ruft Onkels Schwester ihn an, sein Handyakku ist leer, „sag schnell, ist es wichtig?“, ruft er in seine Uhr. „Okay, ich mach schnell“, kommt es leise zurück, „Opa ist fremdgegangen, wir haben einen Onkel in Belgien, der ist fast so alt wie Papa.“ Die Uhr geht aus, das sind alle Infos, die wir bekommen, ein neuer Onkel für Onkel, am Onkeltag.
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