Prosa

weisst.du.schon

 

Erkältete Füße in Wollsocken verpackt, trotzdem eiskalt, man darf ja nicht mehr heizen sagen die da oben, unter einer nach Weichspüler duftenden Frottee-Bettdecke höre ich Musik, die ich nur höre, wenn ich wahnsinnig werde, und tippe wie wild auf die Tastatur meines Laptops ein. Immer wieder kehrt mein Kopf zurück zu Themen, die ich vermeiden will, dabei gibt die Musik, die aus einer pinken JBL Box tönt, sich alle Mühe, jegliche Gedanken aus diesem Zimmer auszusperren. Mein fucking Zimmer für mich ALLEIN. Zu allem Übel kommt meine Mitbewohnerin gleich nach Hause, um mir von ihrem Getaway in den Harz zu erzählen. Ein Glas Wein wird mir vermutlich dabei helfen, Interesse zu heucheln, aber meine Welt ist das nicht, der Harz, ich bin nicht mal Hartz, ich bin nur Substanzmissbrauch und ALG2. Seit meinem Nervenzusammenbruch vor zwei Jahren konnte ich einiges reparieren, aber habe auch Seiten meiner Selbst verloren, die ich jetzt gut gebrauchen könnte, zum Beispiel die Seite, die es juckt, wenn Bekanntschaften über sich selbst reden. “Da musst du jetzt durch”, zwinkert meine Katze mir vom Fußende des Bettes zu und ich weiß ja, dass sie Recht hat. Also ziehe ich die Bettdecke zur Seite, schiebe meine Füße ins kalte Dunkel und stehe auf. Ein kurzer Blick in den Standspiegel erschüttert mich; in den Spiegel gucken wollten wir doch meiden, ich sehe durchgekaut aus. Die Musik abzustellen übertrifft meine Kompetenzen, deshalb lasse ich den Sänger mit der kratzigen Stimme weiter in den leeren Raum hinein schreien. Ich schaue um die Ecke in den Flur, niemand da, und husche in die Küche. Ein Glas ist zu gut für mich, ich trinke direkt aus der Weinflasche. Saure, brennende Schlucke füllen meinen Magen, der das so gar nicht abkann in letzter Zeit, aber mir egal, ich brauch das jetzt. Dem Kühlschrank entnehme ich noch die angebissene Riesensalami, dann schlurfe ich ins Wohnzimmer, in dem es auch extrem kalt ist; zwei-Kuscheldecken-übereinander-kalt. Kurzer Check, ob ich meinen Atem sehen kann: das immerhin noch nicht. Hier sitze ich jetzt im Dunkeln und warte auf meine Mitbewohnerin, die laut der Stalking-App “Wo ist?” noch 31km entfernt auf irgendeiner Autobahn im Ruhrpott ist. Wenn ich schon mal da bin, stalke ich eben alle meine verknüpften Kontakte durch, was sich als blöde Idee herausstellt, da es im Magen sticht und sogar mein Herz sich unangenehm regt. In letzter Zeit bereue ich es oft, mit meiner Ex-Freundin Schluss gemacht zu haben, aber ich denke, ihr geht es mittlerweile so gut damit, dass eine Kontaktaufnahme noch egoistischer wäre als der Akt des Schlussmachens es war. Bei unserem ersten Treffen haben wir so viel gelacht, dass wir weinen mussten, als wir einen alten italienischen Horrorfilm im Programmkino anschauten. Auf dem Heimweg schickte ich ihr ein selbstgemachtes Meme aus der U-Bahn, um sie zu testen. Den Test bestand sie leicht, indem sie mir ein Meme zurückschickte. Die gesamte Kennenlernphase verarbeiteten wir mit Memes, und auch das Schlussmachen und die Liebeskummerphase wurden so bewältigt. Einmal saßen wir in einer kleinen Kneipe, in der man eigene CDs abspielen durfte, an einem Tisch mit einigen KokserInnen auf ganz nah aneinandergeschobenen Stühlen, ihre rechte Hand auf meinem linken Knie. Berauscht vom Contact High, dem schalen Pils und der anfänglichen Verliebtheit, stand ich grinsend an der Bushaltestelle, als es Zeit war, nach Hause zu fahren. Ihre winzigen Hände waren immer kalt, deshalb hab ich sie immer mit meinen Spinnenfingern festgehalten. An Karneval gingen wir beide als Märchenprinzessin, klebten uns gegenseitig Wimpern auf und küssten uns heimlich am Rande des Dorfplatzes, weil meine halbe Familie homophob ist. Wenn es mir nicht gut ging, durfte ich in ihrem Bett liegen und auf ihrer Leinwand Animal Crossing spielen, während sie mir Matcha Latte und Kartoffeln kochte. Bei einem Ausflug zu ihren Eltern liefen wir händchenhaltend durch eine Großstadt in Rheinland-Pfalz, aßen vegane Burger und fühlten uns wie der erste und letzte Punkt des Universums. Dort kaufte sie mir in einer Buchhandlung, die auch ein Café war, hinter meinem Rücken das schönste Set Tarotkarten, das ich je gesehen hatte. Im Frühling, als ich schon nicht mehr verliebt war, lagen wir zusammen auf einer Wiese am Rhein und alles war schön. Als ich nicht mit ihr reden, sondern in Ruhe lesen wollte, erzählte sie mir immer wieder Geschichten, die ich schon kannte und meine Gefühle reichten nicht aus, ihr das durchgehen zu lassen. Auf einer Party, auf der es ihr nicht gut ging, fiel es mir sehr schwer, bei ihr zu sitzen, weil ich mich viel lieber weiter mit den anderen Gästen unterhalten hätte. Als ich schon wusste, dass ich das bald beenden würde, gingen wir mit meiner Schwester Cocktails trinken und ich hatte sehr schlechte Laune, weil sie dabei war. An dem Tag, als meine Genervtheit den letzten Funken Zuneigung überspielt hatte, setzten wir uns auf eine Steintreppe und führten das unausweichliche Gespräch. Obwohl ich dachte, dass Lesben es schaffen, befreundet zu bleiben, nachdem sie gedatet haben, sahen wir uns danach nur zwei Mal wieder, beide Male ungeplant und unangenehm. Seitdem weiß ich, wieviele rothaarige Frauen mit Locken es in meiner Stadt gibt. Meine Mitbewohnerin steht vor mir mit einer Tüte Mitbringsel aus dem Harz und ich halte die Luft an, um hier und jetzt zu Ersticken. Klappt natürlich nicht, aber sie verschont mich mit Geschichten von ihrem kleinen Ausflug, weil meine Unhöflichkeit unübersehbar ist.

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