Prosa

Warum denn nicht Schatz?

Holger ist fuchsteufelswild. Er reißt Sabine das Handy aus der Hand, tut so, als würde er es durchs Parkhaus werfen und sagt bestimmt: “Wenn du so redest, können wir das Ganze auch gleich sein lassen”. Sabine blickt ihn durch ihre toten Augen an und streckt ihre Hand aus. “Gib mir das Handy und hör auf mit dem Scheiß”, sagt sie. Wenn Holger jetzt kleinbeigibt, das weiß er zu hundert Prozent, wird Sabine das immer wieder machen, auf seinen Gefühlen herumtrampeln und mit ihren Kollegen schlafen. Er steigt ins Auto und tut so, als würde er den Motor starten. Sabine verschränkt die Arme, atmet tief aus und rollt mit den Augen, immer diese ganze Dramatik, Holger ist so ein Weichei, denkt sie. Derweil legt Holger den rechten Arm um die Kopfstütze des Beifahrersitzes, er versucht es zumindest, seine Schulter spielt nicht ganz mit. Traurig guckt er nach hinten und sieht Sabine durch die Heckscheibe. Sie sieht aus wie ‘78, als sie sich verliebten, beziehungsweise als er sich verliebte, bei ihr weiß man nie so genau. Sabine zündet sich eine Zigarette an, den rechten Ellbogen auf die linke Hand gestützt, und durchbohrt Holger mit ihrem Blick. Ihr Gesicht fühlt sich ganz kalt an, bis ins Hirn steigt ihr der Frost, sie schüttelt sich leicht. Wie hat dieser Jammerlappen damals gegen Jeff um ihre Hand gewonnen? In keinster Weise erinnert sie sich an irgendeine Zeit, in der Holger attraktiv gewirkt hätte. Vielleicht hatte er mal, vor über zwanzig Jahren, nicht diesen beißenden Mundgeruch, aber Schmetterlinge hat sie noch nie empfunden beim Blick in sein dummes Kötergesicht. Wahrscheinlich habe sie ihn aus Mitleid geheiratet, sagte einmal eine Therapeutin, zu deren Sitzung ihre Chefin sie verdonnert hatte, weil sie mit dem neuen Azubi etwas ruppig umgegangen war. Diese scheiß Millennials sind so verweichlicht, fast so schlimm wie Holger. Mitleid kann es echt gewesen sein, Anstandsfick, Mitleidsheirat, Ärgerehe. Dieser platte Flaum auf seinem Kopf, dieses eklige Muttermal an seiner Wange, die Nasenhaare, die beim Reden flackern, seine dicken Finger, die immer rau sind. Seit Jahren kommt Sabine ihr Mageninhalt hoch, wenn sie zu lange an ihren Gatten denkt. Auf der Arbeit kann sie sich wenigstens ablenken; mit ihrem Kollegen Micha flirten; manchmal geht sie auch mit ihm aus. Sabine ist sich ziemlich sicher, dass Micha eher auf Männer steht (kann sie gar nicht verstehen, das ist doch widerlich), aber Holger regt sich immer so auf, wenn er versehentlich ihre Whatsappnachrichten liest, wenigstens passiert dann mal was in dieser Ehe. Holger sieht so verlassen aus, ganz versunken sitzt er da auf dem Fahrersitz, schaut durch den Rückspiegel zu ihr rüber und versucht, angsteinflößend zu wirken. Traurig, wie er durch sein Leben humpelt, dieser verletzte Hund, dieser stinkende, alternde Köter, niemand nimmt ihn ernst, niemand liebt ihn. Sabine tritt ihre Zigarette aus und steigt ins Auto.

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