Prosa

Luzie gibt auf

An einem kalten Morgen im Oktober sitzt Luzie auf ihrem freistehenden Balkon und pustet auf ihren kalten Kaffee. Die Miete ist bald fällig, das Katzenfutter ist leer, doch das beschäftigt Luzie nicht. Die Gesellschaft ist kaputt, denkt Luzie und zündet sich eine Zigarette an. Alle schimpfen über “die da oben”, ziemlich abstrakt, aber irgendwie auch cool. Das zeigt, dass man sich Gedanken macht und einem Dinge noch etwas bedeuten. Ihr Kumpel Johannes zum Beispiel, der macht sich ungeheuer viele Gedanken, deshalb war er auch für sechs Monate in Südamerika und hat verletzte Tiere gepflegt. Da nimmt man auch mal einen Schlangenbiss in Kauf, hat Johannes gesagt, dafür tut man ja auch was Gutes. Luzie hat ein komisches Gefühl im Bauch, aber das ist sicher nur ihre eigene Unsicherheit, vielleicht ist sie auch neidisch auf Johannes, der hat wenigstens was geleistet. Luzie leistet nichts, sie ist nicht systemrelevant und ziemlich dumm. Zu dumm um zu studieren jedenfalls, das haben ihre Eltern immer gesagt und später auch ihre Lehrer. Deswegen arbeitet Luzie an der Kasse einer Tankstelle und sie ist damit zufrieden, denn so hat sie wenigstens was zu tun. Lernen liegt ihr nicht, weil das hat mit Nachdenken zu tun und das kann Luzie nicht. Früher in Mathe hat sie manchmal angefangen zu weinen, weil sie das mit den Brüchen nicht verstanden hat, und dann hat sie Nachhilfe bekommen, aber die Brüche hat sie trotzdem nicht verstanden. Zum Glück gibt es schlaue Menschen wie Johannes und ihre Freundin Maja, die halten die Welt am Laufen, indem sie nachdenken und lernen und ihr Wissen zusammenfassen und im Internet posten. Luzie ist ja auch Bestandteil der Gesellschaft, sie sorgt dafür, dass Autos und LKW vorankommen, weiterfahren können, dass Familien Urlaub in Polen machen und die Bäckereien jeden Morgen frische Brötchen verkaufen können, das ist ja auch schon mal was. Beim letzten Familienessen erzählte ihr Cousin, dass er jetzt Salesmanager sei, und alle waren beeindruckt. Wenn’s um die Arbeit geht, da beschwert Luzie sich nicht, aber sie prahlt auch nicht, sie lächelt, isst Omas Braten und schweigt. Das Reden überlässt man denen, die Ahnung haben, und Ahnung hat Luzie nicht. Schlaue Menschen lesen Bücher, Luzie malt vorm Fernseher. In ein paar Jahren wird sie Hausfrau und Mutter sein, nebenbei an der Tankstelle arbeiten und es wird sie erfüllen, denn dafür wurde sie geboren.

Ein Kommentar

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert